Rezension: Brotbackbuch Nr. 4 von Lutz Geißler

Au wei.

Dieses Buch zu rezensieren ist keine leichte Aufgabe. Doch ich will zumindest versuchen, meine Gedanken über eines der tiefschürfendsten deutschsprachigen Bücher über das Thema Brotbacken mit Sauerteig in Worte zu fassen, das ich je gelesen habe. Sollte es dabei zu Auslassungen oder Mißverständnissen kommen, so ist das sicher meiner Inkompetenz geschuldet, den schier erschlagenden Informationsgehalt des Werks in seiner Gänze bei nur einmaligem Durchlesen zu erfassen.

Die Brotbackbuchreihe begann 2013, als Lutz das erste richtig gute deutschsprachige Buch zum Thema Brotbacken veröffentlichte. Ich war damals ziemlich begeistert und meine schon damalige Foren- und Email-Bekanntschaft mit dem Autor führte dazu, dass wir uns gemeinsam an die Arbeit an dem Nachfolgebuch machten. Eigentlich geplant als Werk mit den gängigsten Alltagsbroten Deutschlands wurde es schlussendlich nach einigem Hin- und Her viel viel mehr als ein einfaches Rezeptbuch. Ich bin noch heute davon überzeugt, dass es eines der tollsten Lern- und Praxisbücher zum Thema Brotbacken ist, wenn man tiefer in die Materie einsteigen will.

Buch drei war dann dem Backen mit Vollkorn gewidmet und enthält einen ungemein lesenswerten Theorieteil über die Müllerei. Nun liegt Band vier vor, der „vorerst“ letzte Band der Reihe. Es geht um den Sauerteig und das Backen damit.

Die Gliederung des Werks folgt der bereits seit Werk 1 etablierten Form. Zunächst die wichtigsten „Basics“, dann die insgesamt 60 Rezepte, gefolgt vom „Grundlagenteil“. Ich möchte in meiner Rezension dieser Gliederung folgen.

1. Basics

Die Grundlagen zum Backen sind diesmal sehr kurz gefasst. Das ist verständlich, denn es ist nicht Intention dieses Buchs, dem Leser das Brotbacken von der Pike auf zu lehren. Dafür gibt es die Bände 1 und 2. Die Texte sind knapp und prägnant verfasst und auch prägnant bebildert. Es ist auch ein „FAQ“ auf vier Seiten abgedruckt, das die wichtigsten Fragen zum Thema Backen mit Sauerteig zu beantworten versucht. Des weiteren findet sich ein kurzes Glossar.

2. Rezepte

Die Rezepte gliedern sich nach den Sauerteig-Arten, aus denen die Brote entstehen. Roggensauerteig, Weizensauerteig, Dinkelsauerteig, das Backen mit Hefewasser und „gemischten Sauerteigen“, sowie gute Rezeptideen zur Verwendung von Sauerteigresten stellen einen gute Reise durch die verschiedenen Arten des Sauerteigbackens dar.

Die Rezepte sind etwas anders gegliedert als bisher gewohnt. Da die Zutatenspalten für Vorteig/Sauerteig und Hauptteig nicht mehr direkt untereinander stehen, sondern durch Textteile getrennt sind, ist manchmal nicht auf den ersten Blick erkennbar, welche Zutaten alle benötigt werden. Die Texte sind auch relativ knapp gehalten und einige der nötigen Infos muss sich der Leser aus der Infospalte neben dem Rezeptfoto heraussuchen.

Das ist erst einmal gewöhnungsbedürftig, sollte aber erfahreneren Brotbäckern recht schnell gelingen. Gut sind die jeweiligen zeitlichen Planungsbeispiele für jedes Rezept. Die Rezepte sind gut ausgewogen, verzichten dankenswerterweise auf die Grenzgängereien, die vielen sozial-medialen Sauerteig-Brotagonisten so wichtig sind. Die Fotos sind schlicht, schön und animieren bei fast allen Rezepten zum Nachbacken. Und, wichtig für Puristen, alle Rezepte verzichten auf die Zugabe von Backhefe.

Delikates und gut gelockertes reines Roggen-Weizenschrotbrot: „Honig-Salz-Brot, Seite 166“

Was wäre eine Backbuchrezension ohne einen Nachbackversuch? Ich habe mich an dem Honig-Salz-Brot (Seite 166) versucht. Es ist auf Anhieb gut gelungen.

Ich kenne dieses Backverfahren (reine Spontansäuerung mit Honig über min. 24 Stunden) seit vielen Jahren. Ende der 80er war ich in noch jugendlichem Alter mit meinen Eltern auf dem Höhepunkt der damaligen Vollwert-Welle eine Woche in der Jugendherberge Bad Karlshafen, die damals ein Anziehungspunkt für Vollwert-Jünger war. Ich meine mich zu erinnern, dass damals auch ein solches Brot dort gebacken wurde. Später hörte ich in Fortbildungen zu Naturheilverfahren und Alternativmedizin erneut von den Vorzügen dieser Spielart der Teigreifung, meist im Zusammenhang mit der Anthroposophie. Irgendwann hätte ich, wenn mich nicht meine derzeitige Arbeitsbelastung frühzeitig unter die Erde bringt, sicher aus reinem Interesse meine eigenen Experimente zu diesem Brot gemacht.

Das Vorhandensein eines funktionierenden Rezepts hierzu zeigt gut, wie vielfältig und ideologisch unbelastet der Autor sich dem Thema genähert hat. Geschmacklich ist es sehr gut ausgewogen und lecker, sicher eines der mildesten Schrotbrote, die ich je gebacken habe. Das Rezept wird hier sicher nicht zum letzten Mal gebacken worden sein.

3. Grundlagen

Was nun auf fast 200 (!) Seiten folgt, ist eine Reise durch die Theorie (-en), die hinter dem Backen mit Sauerteig stehen. Der Autor dringt tief in die Materie ein, wird stellenweise sehr wissenschaftlich, um dann wieder durch Praxisbeispiele aufzulockern. Viele fachliche Erkenntnisse aus bereits erschienene Werken werden in dieses Buch integriert und dem Interessierten verständlich erklärt. Viele schematische Abbildungen, Tabellen in Kleinschrift und Kurven untermauern den wissenschaftlichen Anspruch, mit dem hier geschrieben wurde.

Ich gebe zu, dass ich manchmal nicht böse darum war, dass ich in meinem Humanmedizinstudium auch nicht unerhebliches Wissen über Biologie, Biochemie, wissenschaftliches Arbeiten und das Lesen von wissenschaftlichen Abbildungen erworben habe. Durchaus möglich, dass ein nicht unerheblicher Teil der Leser sich davon überfordert fühlen könnte. Es sollte jedem Käufer klar sein, dass dieses Werk keine einfache Kost ist, die er sich nebenbei zu Gemüte führen kann.

Dem Autor lag auch viel daran, die sich um den Sauerteig rankenden Mythen durch kleine, in meinen Augen durchaus kurzweilige wissenschaftliche Experimente, zu widerlegen. Natürlich entsprechen die Ergebnisse oft jenen, die er schon erwartet hatte in Kenntnis der dahintersteckenden theoretischen Zusammenhänge. Ein wenig könnte der Eindruck enstehen, dass dieses „myth-busting“ aus der Sicht einer etwas zu verwissenschaftlichten Ideologie heraus erfolgt. Das obige Bild des Honig-Salz-Brotes aus dem selben Werk zeigt ja, dass z.B. die antibakteriellen Eigenschaften von Honig offenbar nicht so tiefgreifend sind, dass sie das Funktionieren des Rezeptes verhindern. Das schreibe ich natürlich mit einem Augenzwinkern.

So wie Lutz an anderer Stelle schreibt: es gibt noch Vieles, was wir nicht wissen. Die biologische und medizinische Wissenschaft greift sich oft aus komplexen Systemen kleinere Teilaspekte heraus und untersucht Einflüsse darauf. Von den Ergebnissen wird dann oft auf das Gesamtsystem geschlossen, die vielen anderen womöglich noch unbekannten Zusammenhänge wissentlich ausklammernd.

Der für mich spannende Teil über die gesundheitlichen Auswirkungen von Sauerteig ist recht knapp geworden, ist aber auch nicht Hauptthema des Buchs. Es werden fast alle Spielarten der Sauerteigbäckerei eingehend beschrieben oder zumindest erwähnt. Einzig und allein die sogenannten „thermophilen“ Sauerteige, die in der russischen Brotbäckerei eine große Rolle spielen, habe ich nicht gefunden. Die sind zugegebenermaßen hierzulande allenfalls durch Karl Kirmeyer („Kirmeyer Royal“) bekannt geworden.

Fazit:

Ein in jeder Hinsicht großes Buch, über das ich sicher noch viel mehr schreiben könnte. Die Rezepte sind gut und sehr empfehlenswert. Der Grundlagenteil ist in seiner fachlichen Tiefe beispielhaft und sicher auch für Profis mehr als lesenswert. Das Buch ist jeden Cent wert, der dafür bezahlt werden muss. Für meine inzwischen 45-jährigen, beginnend presbyopischen Augen ist der Schriftgrad in einigen Buchteilen schon recht winzig geraten. Doch das ist ganz sicher der Tatsache geschuldet, dass die schiere Textmasse irgendwie in das Buch gebracht werden musste, ohne dass dieses biblische Ausmaße erreicht. Ich kann mich vor der Arbeit, die hinter diesem Werk steckt, nur ehrfürchtig verneigen.

Brotbackbuch Nr. 4 von Lutz Geißler

408 Seiten

Verlag Eugen Ulmer

ISBN 978-3818606459

Preis: 39,95 Euro

5 Gedanken zu „Rezension: Brotbackbuch Nr. 4 von Lutz Geißler

  1. Lutz

    Vielen Dank für das große Lob, lieber Björn. Als kleine Ergänzung am Rande: Die thermophilen Sauerteige sind in der Theorie angesprochen („Typ 2-Sauerteige“), aber aus praktischen Gründen nicht im Rezeptteil hinterlegt. Mein Anspruch war es, Rezepte ohne Zusatz von Backhefe zu entwickeln. Da in thermophilen Sauerteigen die Hefen bewusst ausgeschaltet werden, kamen sie für die Rezepte nicht in Frage, zumal das Buch eigentlich eh schon dicker geworden ist als geplant ;-).

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  2. Conny

    Eine tolle Rezension, die dem Inhalt des Buches gerecht wird. Habe das Backbuch Nr. 4 vorgestern bekommen und bin total begeistert. Werde noch eine ganze Weile brauchen, bis ich den wissenschaftlichen Teil „verstoffwechselt“ habe, es macht mir aber großen Spaß, liest sich für mich spannender als mancher Krimi ;-).
    LG Conny

    Antworten
  3. Reiner

    Hallo Björn

    Besser als du es in der Rezension getan hast kann man dieses Werk nicht beschreiben. Es ist ein ‚großes‘ Werk für Bäcker welche nicht nur einfach ein Rezept umsetzen möchten, sondern auch verstehen möchten was dabei an Prozessen abläuft.
    Dieses Buch ist ein MUSS für Alle welche nicht nur Nachbacken möchten, sondern auch eigene Rezepte entwickeln möchten.

    Gruß Reiner

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