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Rezension: Richard Bertinet „Brot für Genießer“

Richard Bertinet
„Brot für Genießer“ 53 Variationen
Christian Verlag, München
ISBN 978-3-88472-711-9
Preis 24,95 €

Lange ist es her, daß ich ein Backbuch rezensiert habe. Nun bot sich die Gelegenheit, eines der Bücher des unter Hobbybäckern durchaus bekannten Richard Bertinet zu besprechen.
Bertinet, ein französischer Bäcker, der nach England ausgewandert ist, legt hier ein Werk vor, das sich dezidiert an Menschen richtet, die noch keinerlei Erfahrungen mit dem Selbstbacken von Broten haben. Der Autor beschreibt das Dilemma, daß in seiner neuen Wahlheimat fast überwiegend in der Fabrik gefertigtes Weißbrot verzehrt wird, welches mit sehr vielen aus seiner Sicht unerwünschten Zusatzstoffen versehen ist. Bäckereien, die noch nach traditionellen Methoden backen, sind dünn gesäht. Aus diesem Notstand heraus bietet er Backkurse an, in denen Menschen das Backen von Brot selbst erlernen können.
Bertinets Philosophie läßt sich mit einem Satz aus dem Vorwort sehr gut zusammenfassen: „Man muss nicht wissen, wie ein Vergaser funktioniert, um Auto zu fahren“ (S. 7). Will heißen, daß er nur wenige marginale Grundkenntnisse für nötig hält, um ein schmackhaftes Brot ohne Zusatzstoffe herzustellen.
Konsequent ist das Buch nach dieser Philosophie aufgebaut. Nach einem Grundlagenteil, der nur die absoluten „Basics“ in verständlicher Sprache erklärt, kommt er zu seiner legendären Knettechnik: Bertinet propagiert mit ziemlicher Hybris das Teigkneten rein per Hand „Vergessen Sie alles, was sie bisher über das Kneten wußten“. Die hierzu notwendigen Schritte werden in Wort und Bild erläutert und sind verständlich dargestellt. Für jene, die es sich anhand der Bilder und Beschreibungen noch nicht gut vorstellen können, sei das folgende Video empfohlen.
Ich habe selbst schon häufiger Versuche mit dieser interessanten und effektiven Handknetmethode gemacht. Die von Bertinet jedoch im Buch angegebenen Zeiten von maximal 5-10 Minuten Handknetung für einen hinreichend ausgekneteten Teig halte ich für zu kurz. So erhält man lediglich Teige, die zu 1/4 bis 1/3 ausgeknetet sind. Wie zur Bestätigung zeigen die Fotos im Buch Teige, zum Beispiel auf Seite 25, die ganz offensichtlich noch keine hinreichende Glutengerüstentwicklung haben. Zumal die Teigruhezeiten, die der Autor in seinen Rezepten angibt, ebenfalls sehr kurz sind. Um eine gute Glutenentwicklung zu erreichen, habe ich immer mindestens 15-20 Minuten handkneten müssen, eine anstrengende und schweißtreibende Arbeit, die wohl nur wenige dauerhaft so zu leisten bereit sind. Für die angegebenen kurzen Handknetzeiten müßte aus meiner Sicht die Hefemenge reduziert werden und man dem Teig 2-3 Stunden Ballengare Stockgare mit mehrfachem Strecken und Falten angedeihen lassen, damit er eine schöne Glutenstruktur aufbaut.
So gilt für diejenigen, die nach dem Buch kneten meine Empfehlung, entweder länger handzukneten oder die Teigruhezeiten zu verlängern. Gut ist, daß Bertinet in seinen Rezepten auch Knetzeiten mit der Maschine angibt.
In den Grundlagen wird leider nur marginal auf aus meiner Sicht positive und wichtige Dinge wie Teigvorstufen und Sauerteig eingegangen. Lediglich bei einigen Rezepten, wie z.b. beim Ciabatta, kommt ein lang geführter Hefevorteig zum Einsatz. Ich meine, daß gerade Anfänger, die die Brotbackkunst richtig erlernen wollen, sich schon früh damit auseinander setzen sollten.
Nach einigen kurzen Sätzen über das Wirken kommen sogleich die Rezepte, in denen die Philsophie Bertinets praktisch umgesetzt wird.
Ausgehend von einem Grundteig, der meist mindestens 2 % Hefe enthält und maximal 1 Stunde Ballengare Stockgare erhält, werden verschiedene Brotformen vorgestellt und um süße oder deftige Zutaten ergänzt.
Deutlich merkt man an den Rezepten, daß der Autor auf die potenzielle Ungeduld seiner Eleven Rücksicht nimmt. Wenn ich z.B. im Baguette-Rezept auf S. 54 lese, daß dieser Teig zwar mit TA 170 angesetzt, aber mit 2 % Hefe und nur einer Ballengare Stockgare von 60 Minuten geführt wird, dann dürfte klar sein, daß diese Baguettes nur wenig von dem bekannten klassischen, von den langen Teigruhezeiten herrührenden Brotaromen haben werden. Geschweige denn, daß sie eine grobe Krumenporung aufweisen. Hinzu kommt, daß das Einsprühen von Wasser in den Ofen mit der Blumenspritze für schöne Baguettes völlig unzureichend Dampf erzeugt. Lediglich im Nebensatz erwähnt Bertinet, daß man eine Art „Alten Teig“ aus dem Grundteig abnehmen kann, den man einige Tage im Kühlschrank aufbewahrt und beim nächsten Mal wieder zufügt, um den Brotgeschmack etwas zu verbessern. Kein Wort von der üblichen langen kalten Fermentation oder von Poolish-Vorteigen.
Ebenfalls Schwächen weist das Kapitel „Roggenteig“ auf: Das als „Roggenteig“ bezeichnete Basisrezept ist in Wirklichkeit ein Weizenmischteig mit 20 % Roggenmehl, welcher ohne Sauerteig und auch mit 2 % Hefe gebacken wird. Dies ist sicher der Knetmethode geschuldet, die mit echten Roggenteigen nicht funktionieren würde. So zusammengesetzte Brote aber als Roggenbrot zu bezeichnen, ist einfach sachlich nicht richtig. Selbst beim bekannten „Pain de Campagne“, einem in Frankreich traditionell mit Sauerteig geführten Landbrot, kommt in Bertinets Buch nur ein für 5 Stunden fermentierter Vorteig aus dem Basisrezept zum Einsatz. Wenigstens wurde in diesem Rezept die Hefemenge reduziert und die Teigruhezeit verlängert. In nur einem Rezept wird ein echtes Roggenmischbrot vorgestellt, auch dieses allerdings ohne Sauerteigverwendung. All dies ist sicherlich einerseits einer angelsächsischen Zielgruppe geschuldet, die solche Brote häufig weder kennt noch mag. Andererseits ist auch die französische Brotbacktradition, aus der Bertinet kommt, arm an Broten mit überwiegendem Roggenanteil.
Ich möchte auch noch ein Wort zu den Bildern verlieren. Neben nicht wenigen schön fotografierten und ausgeleuchteten Brotaufnahmen sind leider auch Abbildungen enthalten, die erschreckend unscharf sind, bei denen man nur einen winzigen Tiefenschärfebereich genutzt hat oder die (gewollt?) Verwacklungsunschärfen zeigen, so beispielsweise auf Seite 111 beim Rosinen-Haselnuss-Brot mit Schalotten. So etwas stört für mich schon etwas den guten Gesamteindruck.
Doch nun genug der Kritik. Ich kann diesem Buch durchaus auch sehr positive Seiten abgewinnen. Insbesondere zeigt es, daß Brotbacken kein Hexenwerk ist und man auch auf einfache Art selbst leckeres Brot backen kann. Hierdurch nimmt es Anfängern die Angst und den Respekt vor der ganzen Theorie und dem Bäckerlatein, mit denen erfahrene Hobbybäcker und Profis um sich werfen. Ich bin mir sicher, daß man aus den Rezeptangaben rasch schmackhafte und optisch ansprechende Brote backen kann. Die Rezepte sind denkbar einfach und leicht zu verstehen, so daß sich Erfolge schnell einstellen. Somit kann ich Anfängern dieses Buch durchaus empfehlen, um auf den Geschmack zu kommen. Für Hobbybäcker mit mehr Erfahrung bietet dieses Buch nicht mehr viel neues.

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