Weinheimer Brotforum 2020

Nachdem ich 2019 schon einmal als Teilnehmer beim Weinheimer Brotforum angemeldet war, wurde es heute für mich ernst. Kurz darauf fragte mich der Leiter der Akademie, Bernd Kütscher, ob ich auch bereit wäre, die Position der Hobbyisten, Amateure und Brotinteressierten in einem Vortrag beim nächsten Brotforum zu vertreten.

Da ich so meine Probleme damit habe, nein zu sagen, stand ich also heute in Weinheim beim 4. Weinheimer Brotforum selbst auf der Bühne mit dem Thema „Die riesige Brotcommunity im Web“. Um es vorweg zu nehmen: neben den vielen großartigen Vorträgen, deren Inhalt und Qualität mich wirklich umgehauen hat, war ich wahrscheinlich in meiner westfälisch reservierteren Art ein wenig der Außenseiter. Was heute an Introspektion, Aufbruchstimmung und selbstkritischen Blicken auf den derzeitigen Stand des deutschen Bäckerhandwerks geboten wurde, hat jedem Eindruck widersprochen, den z.B. die kürzliche ZDF Sendung darüber vermittelt hat.

Karl de Smedt mit dem denkwürdigen Leitspruch der Firma Puratos

Dabei fühlte ich mich oft in vielen meiner eigenen Überlegungen zur Zukunft des Bäckerhandwerks bestätigt. Es wird nicht mehr funktionieren, einen Massenmarkt mit Produkten bedienen zu wollen, die die Industrie in ähnlicher Qualität aber zu günstigerem Preis über Discounter und Co. vertreibt. Das Handwerk hat nur noch eine Chance durch Spezialisierung/Alleinstellung, kompromisslosem Qualitätsanspruch bei Rohstoffen und Produkt, Transparenz und Ehrlichkeit und authentischem „Trommeln“. Dann finden sich mehr als genug Kunden, die für Brot mit so gutem Gefühl einen ganzen Haufen Geld ausgeben werden. Das gilt insbesondere in den Großstädten. Hier auf dem Land wird dieser Umbruch wahrscheinlich noch länger dauern. Und mal ganz ehrlich gesagt: das Thema ist ja nicht nur ein Thema für Bäcker. Auch niedergelassene Ärzte müssen gut überlegen, wie sie sich in Zukunft aufstellen, während in der Politik laut über Gesundheits-Apps, Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und andere Dinge gesprochen wird. Es sind ja nicht nur die Bäcker alleine, die einen Weg finden müssen, sich unter den sich ändernden Bedingungen der modernen digitalen Welt zu behaupten. Auch bei uns muss überlegt werden: was können wir besser als irgendein automatisierter Vorgang??

Die Zukunft des Bäckerhandwerks ist weiblich: Christa Lutum, Marie Simon, Ava Celik und Sophie Hinkel in der Podiumsdiskussion. Als Moderator fungierte Prof. Michael Kleinert.
Während meines Vortrags. (Bild: Akademie deutsches Bäckerhandwerk, Weinheim)

Mein Vortrag beschäftigte sich also mit der Brot-Community. Kein „unkompliziertes“ Thema, denkt man einmal an die inzwischen eingetretene Fraktionierung in verschiedene Gruppen, viele Blogs und andere Seiten. Instagram nicht zu vergessen. Mir lag daran, all diese Aspekte im Vortrag zu nennen, ohne damit irgendeine Wertung zu verbinden. Alle Namensnennungen im Vortrag sind rein subjektiv und ohne Hintergedanken. Vor allem lag mir aber daran, an die vielen anwesenden Profis die Botschaft zu richten, dass unsere seit vielen Jahren aufgebaute Brot-Community ein perfekter Ort ist, um endlich auch hierzulande mehr miteinander und weniger übereinander zu reden.

Volles Haus

Diese ungute deutsche Trennung von Profi und Amateur kenne ich so in internationalen Brot-Gruppen nicht. Ganz im Gegenteil, dort entscheidet nicht ein Ausbildungszertifikat über die Qualifikation eines Teilnehmers, sondern dessen Wissen und Qualität der Partizipation.

Ich hoffe, dass diese Botschaft wohlwollend angenommen wird. Die Power-Point-Folien zu meinem Vortrag könnt ihr Euch hier ansehen.

BrotdocWeinheim2020-2

Einige interessante Menschen konnte ich auch kennenlernen, u.a. Karl de Smedt von der Puratos Sauerteigbibliothek in St. Vith, Belgien. Jochen Baier, World Baker des Jahres 2018, und Thomas Lepold, der interessante Einblicke in die Nutzung von Ackerbohnenmehl zur gezielten Erhöhung des Ballaststoff und Eiweißgehaltes von Brotteigen gab. Auch ein Wiedersehen mit Sigfried Brenneis, Axel Schmitt, Tobias Exner, Sebastian Däuwel und mit Wolfgang Heyderich, meinem Weggefährten auf der Rückreise aus Frankreich 2014, gab es.

Jochen Baier präsentiert seine wirklich leckeren Brote

Alles in allem eine tolle Veranstaltung, deren Besuch sich auch für mich als Amateur sehr gelohnt hat.

9 Gedanken zu „Weinheimer Brotforum 2020

  1. Stefan

    Schöne Zusammenstellung und gute Botschaft. Während ein Teil der Bäcker auf Augenhöhe interagieren ist ein weiterer, größerer Teil digital noch in den 1990ern mit maximal einem wenig gepflegtem Internetauftritt.

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  2. Peter

    2014 in einen mittelkleinen Ort in Californien mussten wir anstehen!!! Grund: 5 Verkaufer waren nicht in der Lage die einströmenden Brotkäufer ohne Zeitverlust zu bedienen. ….“dort entscheidet nicht ein Ausbildungszertifikat über die Qualifikation eines Teilnehmers, sondern dessen Wissen und Qualität der Partizipation.“
    Ein San Feanzisco Sourdough und ein Toastbrot von mehreren anderen verfügbaren Broten bewiesen uns, dass Bäckerhandwerk zumindestens in Californien hervorragend funktioniert.
    Boudinbakery in Frisco kann man zusehen, wie sie Brote backen und seit 1849 Sauerteig verwenden.
    Empfehlung an die Weinheimer:
    Verpennt nicht die nächsten 6 Jahre. Organisiert die nächste Tagung in Frisco und nehmt die Entscheider über die Regularien für das Brotbacken in „Weltbrotland Deutschland?“ mit. Es sei denn in Germanien ist das relative Geschmacksempfinden unter dem Niveau der Californier gerutscht.

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  3. Renate

    Seit geraumer Zeit beobachte ich genau diese Abgrenzung zwischen Hobby- und Profibäcker. Die gerne von den Profis ausgeht, noch dazu wenn man als Frau raus aus der Hobbyecke möchte und seine „Brotschmankerl“ in die weite Welt tragen möchte und nicht nur den Verwandten, Bekannten und Nachbarn zukommen lassen möchte!
    Ich bitte sämtliche Profis um Anerkennung der Leistungen die eine Hobbybäckerin mit Ambitionen zu Mehr hat!

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    1. Rudolf

      Genauso läuft es … und alles was im Internet, den Foren, den HP präsentiert wird, sind oftmals wunderschöne Fotos ohne Geschmack, ohne Krumme und ohne Kruste … – deshalb hab ich immer wieder gefordert… offizielle Ausstellungen für Hobbybäcker zu tätigen … auch wenn Diese Ihr Brot nicht verkaufen dürfen, lt. Gesetz, allerdings darf jeder eine Gratisprobe abgeben, und jeder hat Recht darauf vom einen oder anderen Interessenten eine Beurteilung zu bekommen.

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  4. Lutz

    Der Meisterzwang in Kombination mit der momentanen (und seit Jahrzehnten manifestierten) Bäckerausbildung führt zum Tod des deutschen BäckerHANDwerks. Wenn sich die Institutionen nur mit Hobbybäckern schmücken, sich aber nicht auf wirkliche Reformen einlassen, dann helfen alle Appelle und guten Beispiele nichts. Etwas Gutes hat diese Selbstabschaffung: Irgendwann wird der Meisterzwang nicht mehr nötig sein, weil es niemanden mehr gibt, der sich auf diese „Verbildung“ angehender Bäcker einlässt. Es wird Zeit, alternative Ausbildungswege zu schaffen, die ein wirklich ehrliches und sauberes Handwerk vom Saatgut bis zum Brotverkauf abbilden.

    Björn, ich kann verstehen, dass du nicht nein sagen konntest. Ich habe auch eine Zeit lang dafür gebraucht. Aber inzwischen ist mir meine Zeit zu kostbar, um gegen Windmühlen zu kämpfen, die sowieso kein Interesse an Veränderung haben. Ich gehe jetzt lieber den Weg mit Bäckern zusammen, die bereits erkannt haben, dass der Meistertitel im BäckerHANDwerk in fast allen Fällen nicht mehr bedeutet, als in Prüfungen antiquierte Erwartungen erfüllt zu haben, die mit der Realität nichts gemein haben. Ein Bäcker sollte der Souverän über sein Brot sein. Nur die wenigsten lernen das noch. Und nur die wenigsten in den Institutionen wollen, dass es gelehrt wird. Hier verschwindet ein Kulturgut auf Seiten der Profis, das in den vergangenen Jahren vor allem von den Hobbybäckern hochgehalten wurde und so einige junge Bäcker und Quereinsteiger zum sauberen backen animiert hat.

    Diese Zeilen sind spontan entstanden und nicht argumentativ durchgereift, aber es musste mal raus, auch weil ich schon länger beobachte, wie sich des Hobbybäckertums bedient wird, ohne es wirklich in die drängenden Fragen des Handwerks einzubinden.

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    1. brotdoc Beitragsautor

      Ich hatte nicht den Eindruck, dass nur ein scheinbares Interesse an meinem Vortrag bestand. Oder dass ich als Feigenblatt diente, um die delikateren Körperteile der Akademie zu verdecken (wobei ich mit meiner Masse sicher ein gutes Feigenblatt wäre 😉 ). Ich verspürte ehrliches Interesse und die Referenten der Veranstaltung bliesen im Grunde in Dein Horn. Noch eine weitere Sache: wenn die Meisterschüler aus Weinheim seit 2 Jahren durch Backstuben wie die von Sebastian Däuwel geführt werden, dann ist das doch nicht nur Show.
      Natürlich bin ich als zentristisch eingestellter Mensch immer mehr dafür, dass sich aus der Mitte heraus etwas ändert. Vielleicht braucht es gar nicht die von Dir beschriebene Apokalypse. Vielleicht braucht es keines Kampfes gegen Windmühlen. Vielleicht reicht es, genau das weiterzumachen, was wir seit 10 Jahren machen.

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      1. Lutz

        Hallo Björn,

        Weinheim ist in vielen Dingen eine Ausnahme. Schau an die Berufsschulen, an die Landesakademien, in die Masse der Betriebe. Dann bietet sich dir fachlich ein Bild des Grauens.
        Dass beim Brotforum vor allem diejenigen vor Ort sind, die sich mehr Gedanken machen und Interesse zeigen, ist auch klar. Ich kenne aber auch die andere Seite. Die wird nicht öffentlich gezeigt, aber sorgt dafür, dass sich nichts bewegt, weil sich nichts bewegen soll. Mich hat das schon mürbe gemacht und ist der Grund dafür, weshalb ich mir sehr genau überlege, ob ich Anfragen von Institutionen des Bäckerhandwerks annehme oder nicht.

  5. Bernd

    Das negative Bild, das hier teilweise gezeichnet wird, verkennt aus meiner Sicht ein paar Wahrheiten:

    1) Die Bundesakademie des Bäckerhandwerks ist eng mit den weiteren ADB-Fachschulen und Verbänden vernetzt und versucht mit ihrem Weg und ihrer Philosophie zu inspirieren, was hier und da durchaus gelingt und Früchte trägt.

    2) Auch die vielen Teilnehmer in unseren Seminaren arbeiten an sich (wie der Aufwand einer Teilnahme beweist), setzen das Wissen um und haben großen Erfolg damit – was sich herum gesprochen hat und andere ermuntert ihnen zu folgen. Also tut sich durchaus einiges…

    3) Fachwissen braucht Fachleute, doch diese sind in der Branche sehr rar geworden. Zu wenige Menschen erlernen den Beruf des Bäckers – auch weil von den Medien und auch von manchen Bloggern nicht differenziert, sondern ein ausschließlich negatives Bild gezeichnet wird. Dabei gibt es wie gesagt viele ermutigende Ansätze und großes Interesse, das Brotforum zeigt es. Schade, dass auch diese Ansätze hier schlecht geredet werden.

    Ich bin der festen Überzeugung, dass es auf beiden Seiten der Brotwelt passionierte Bäcker/innen gibt, die traditionelle Verfahren schätzen, Insofern werden wir auch in Zukunft Gelegenheiten finden, beide Seiten zusammen zu bringen – und dies keinesfalls nur als „Feigenblatt“.

    Und: Danke für die Anregung, doch auch das 5. Weinheimer Brotforum am 2. März 2021 wird in Weinheim stattfinden, nicht in Kalifornien 🙂

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  6. Lutz

    Hallo Bernd,
    ich hatte gehofft, hier auch deine Meinung abgebildet zu bekommen. Und da liegen wir gar nicht weit auseinander. Dankeschön.

    Wie geschrieben, ist die Weinheimer Arbeit lobenswert, aber was nützt all das in der großen Masse gesehen, wenn die Probleme nicht an der Wurzel, also in der Gesellenausbildung angepackt werden? Dann wäre mit Sicherheit auch wieder ein stärkeres Interesse junger und auch älterer Menschen da, sich als Bäcker ausbilden zu lassen. Wenn die berufsständischen Institutionen sich aber {so scheint es mir) nur nach außen ein modernes Antlitz geben, intern jedoch Ausbildungsinhalte und -methoden vertreten, die weit weg von dem sind, was einem HANDwerk gerecht wird (darüber könnte ich schon ein Buch schreiben), dann passt da irgendwas nicht zusammen. Für wirklich fachlich Interessierte ist die derzeitige Ausbildung eine Tortur. Wenn immer noch gelehrt wird, man bräuchte Backmittel (damit meine ich nicht nur Malz…), könne keine reinen Roggenbrote backen, müsse Reinzuchtsauer kaufen statt auf eigene Kulturen zu vertrauen, müsse 4 oder gar 8% Hefe verwenden etc. pp., dann braucht sich niemand zu wundern, warum immer mehr Bäckereien schließen. Du warst selbst in Japan, Bernd. Dort gibt es keinen Standesklüngel. Dort gibt es auch keinen Mittelbau an Bäckereien wie in Deutschland, aber jede Bäckerei, die ich besucht habe, war ein echter Handwerksbetrieb, und das waren viele, in den Städten und auch auf dem Land – ganz ohne Meister und unverschult. Ich fordere nicht die Aufhebung des Meisterzwangs, aber eine drastische Reformierung der Bäckerausbildung. Wenn das nicht gelingt, ist der Zukunft des Bäckerhandwerks aber doch am ehesten mit einer Aufhebung des Meisterzwangs geholfen. Die Argumente habe ich bereits im Newsletter aufgeführt, aber bis heute kein einziges griffiges Gegenargument bekommen.
    Ich hatte in den vergangenen zehn Jahren so viele Gespräche mit ehemaligen Azubis, mit Fachlehrern und Einblicke in diverse Berufsschulen, dass ich der Meinung bin, ein halbwegs objektives Bild der deutschen Ausbildungslandschaft zeichnen zu können. Und was ich dort höre und sehe, ist rückwärtsgewandt und für niemanden ein Ansporn, Bäcker werden zu wollen. Wer als Interessierter durch die Gesellenausbildung hindurchkommt, hat es trotz und nicht wegen der Lehrinhalte geschafft.

    Ich hoffe, du zählst mich nicht zu den Bloggern, die ein ausschließlich negatives Bild zeichnen. Ich zeichne ein realitätsnahes und deshalb kritisches Bild. Und ich weiß sehr viele Bäcker hinter meiner Sichtweise und alle hoffen auf eine Ausbildung mit Vorbildfunktion. Vermutlich müssen sich noch mehr Quereinsteiger durch die Mühlen des Systems kämpfen und sich nicht verbilden lassen, um dann später selbst in den Innungen und Schulen ein antiquiertes Berufsbild mit neuen Ansätzen zu reformieren.

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